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Zwiebelpflanzen
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Junge Zwiebelpflanze
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Zwiebeln sind zweifellos ein Grenzfall zwischen den
Gewürzen und den Gemüsen; während sie in manchen Gerichten wie ein Gewürz vornehmlich Geschmack beitragen,
spielen sie in anderen die Rolle eines nahrhaften Gemüses.
Ich habe sie allerdings auf den Gewürzseiten als Gewürz
aufgeführt, weil sie einerseits in vielen Küchen verwendet werden und
weil sie andererseits für sehr verschiedene Gerichte zum Einsatz kommen,
wobei sie je nach Rezept für Masse, Konsistenz, Geschmack oder Schärfe
sorgen. Ihr Geschmack häng von den Details ihrer Verwendung ab, und auch dieses Merkmal teilen sie eher mit anderen Gewürzen als mit Gemüsen.
Die überlieferte Geschichte der Zwiebeln beginnt recht früh, bereits in der Bronzezeit.
Zwiebel und Knoblauch erfreuten sich bereits im
alten Ägypten großer Beliebtheit. Es ist bekannt, daß die
Arbeiter an den klassischen Pyramiden mit täglichen Rationen von
Lauchgewächsen versorgt wurden; wahrscheinlich diente das auch zur
Prävention von Infektionskrankheiten in den dicht bevölkerten
Arbeiterquartieren. Im Alten Testament werden Zwiebel und Knoblauch
explizit als Nahrung der Israeliten während ihres Aufenthalts in
Ägypten erwähnt (siehe Granatapfel).
Eine weitere bronzezeitliche Quelle, nämlich die Ilias von Homer, erwähnt sie als
Lebensmittel (siehe Mohn.
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Junge Zwiebelpflanze
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Sowohl Zwiebel als auch Knoblauch tauchen prominent
in einer Sammlung babylonischer Rezepte aus Mesopotamien auf (ca. 1600) auf, die
heute an der Universität Yale aufbewahrt wird und als Yale
Recipes bekannt ist. In den ungefähr 35 Rezepten auf drei Tontafeln
präsentieren sich Zwiebelgewächse als die dominanten Würzen
des alten Babylon: Zwiebel (akkadisch šusikillu), Lauch
(karšu, karašu) und
Knoblauch (hazanu), die oft als
Paste den Speisen zugegeben werden.
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Portrait von Xuan Zang [玄奘] im Vaikunta-Perumal-Tempel [வைகுண்டா பெருமள் கோயில்] in Kanchipuram (Tamil Nadu)
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Daneben kommen in der Rezeptsammlung noch weitere Gewürze vor, von
denen manche heute noch in semitischen Sprachen ähnlich heißen,
so daß die Identifikation ziemlich gesichert ist:
Minze (ninū),
Koriander (kisibirru),
Kreuzkümmel (kamûnu),
und Dill (šibittu). Andere
Gewürze dieser ältesten dokumentierten Küche der Welt
sind dagegen nur unsicher zu bestimmen: egenguru
(Rucola, Kresse),
šurmīnu (Zypressenzapfen, vielleicht ähnlich
Wacholder) und sibburratu
(Weinraute). Eine Zutat namens kasû
taucht sehr häufig auf; sie wird von einigen Forschern mit der
Seidenpflanze (Teufelszwirn, Cuscuta) gleichgesetzt, während
andere dahinter Senf oder Süßholz vermuten.
Importgewürze fehlen in diesen Rezepten völlig.
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Portrait von Xuan Zang [玄奘] im Vaikunta-Perumal-Tempel [வைகுண்டா பெருமள் கோயில்] in Kanchipuram (Tamil Nadu)
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Im alten Indien waren Zwiebel (und auch Knoblauch)
sehr unpopulär. Sie galten als unrein und wurden wenig gegessen;
Zwiebelesser wurden nicht innerhalb der
Stadtmauern geduldet, wie der chinesische Reisende Xuan Zang [玄奘] im 7. Jahrhundert schrieb.
Sanskrit-Namen wie nichabhojya [नीचभोज्य] Speise für Niedrige
,
shudrapriya [शूद्रप्रिय] beliebt bei den Shudras (Niedrigkastigen)
und
durgandha [दुर्गंध] übelriechend
,
bezeugen die geringe Wertschätzung von Zwiebeln. Die bedeutende Stellung
von Zwiebel und Knoblauch in der heutigen indischen Küche entwickelte sich
erst durch arabischen Einfluß in den letzten tausend Jahren. Aber auch
heute noch lehnen einige brahmanische Gemeinschaften, z. B. in Bengalen, den
Genuß dieser starkriechenden Pflanzen ab; deren Küche verwendet oft
Asant, wo andere indische Köche Zwiebeln
einsetzen würden.
In der heutigen indischen Küche dienen Zwiebeln sehr häufig als
Saucengrundlage. So gut wie jedes nordindische Rezept enthält einen Schritt,
in dem Gewürze und feingehackter Zwiebeln langsam in Öl gebraten werden; diese
Kochmethode heißt baghar [बघार] und erinnert an
die chinesische Chaoxiang-Technik [炒香] (siehe Sichuanpfeffer),
auch wenn dabei ganz andere Geschmacksstoffe zum Einsatz kommen. In Indien spielen Zwiebeln eine wichtige Rolle, da sie beim langsamen
Bräunen karmelisieren und dabei einen nussigen Maillard-Geschmack beisteuern, der die verschiedenen Aromen verbindet und harmonisch abrundet.
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Zwiebel-Jungpflanzen
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Fast jedes nordindische Rezept beginnt mit derselben Prozedur: Gewürze werden gebraten, bevor die anderen Zutaten in den Topf kommen.
In ihren vollen Ausführung besteht die Prozedur aus drei Schritten: In Schritt Eins werden harte, temperaturbeständige Gewürze
in sehr heißem Fett erhitzt; dazu gehören Gewürznelken, Zimt, schwarzer Cardamom,
grüner Cardamom und Indische Lorbeerblätter in der Reihenfolge abnehmender Hitzebeständigkeit.
Sobald die Nelken anschwellen, sich die Zimtstangen entrollen, sich die Cardamomkapseln einen Spalt öffnen und ein starker Duft aufsteigt,
fügt man als Schritt Zwei frische Gewürze hinzu (Zwiebel, Knoblauch and Ingwer),
die durch ihren Wassergehalt die Temperatur sprunghaft absenken: Sie fällt auf ca. 100 Grad und steigt dann mit zunehmender Verdunstung des Wassers langsam wieder an.
In Schritt Drei kommen dann die wenig hitzefesten Gewürze hinzu, neben vielen anderen Kreuzkümmel, Ajowan, Asant
und Muskatblüte. Je nachdem, ob sie getrocknet, frisch oder gemahlen sind, können Chilies in jedem
Schritt zum Einsatz kommen. Als Resultat erhält man eine bräunliche, ölige, hocharomatische Masse, die manchmal selbst als baghar
bezeichnet wird, häufiger aber einfach masala [मसाला] heißt;
auf Englisch sagt man auch wet masala, was aber nicht naß
sondern ölig
impliziert.
An dieser Stelle fügt man nun weitere Zutaten (je nach Rezept Gemüse oder Fleischstücke) zum Schmoren zu, oder man vollendet die Sauce durch Aufgießen
mit irgendeiner Flüssigkeit (gehackte Tomaten, Yoghurt, Kokosmilch).
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Blühende Zwiebelpflanzen
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Zwiebel-Jungpflanzen
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Zwiebelblüten
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Alle diese baghar-Regeln haben ihre möglichen Ausnahmen, und genau daher bezieht die indische Küche ihre Flexibilität. Zwiebelfreie
Varianten sind möglich, aber dann braucht es gute Temperaturkontrolle oder sehr scharfes Timing bei den hitzelabilen Gewürzen in Schritt Drei.
Gemahlene Gewürze kommen sehr spät in den Topf; besonders der gemahlene Chili verbrennt nämlich sehr leicht, aber
bei richtiger Durchführung gibt er eine sehr gute Schärfe und eine leuchtendrote Farbe an das Öl ab. Im Süden läßt man die Zwiebeln öfters weg,
und wenn man sie verwendet, dann meist in Form einer Paste zusammen mit den anderen Gewürzen von Schritt Zwei; letzteres wird auch im Norden
immer beliebter, wobei oft die hitzeempfindlichen Gewürzen in die Paste gemengt werden. Senfsamen, die im Süden
sehr häufig sind, brauchen hohe Temperaturen und müssen daher am Ende von Schritt Eins zugegeben werden; oft röstet man sie aber getrennt in
einer trockenen Pfanne an, weil sie sich so leichter kontrollieren lassen. Besonders einfache Rezepte lassen Schritte
Eins und Zwei ganz weg, zum Beispiel in Bengalen, wo die beliebten
Fünf Gewürze
panch phoran [পাঁচ ফোড়ন]
alle in Gruppe Drei fallen (siehe Nigella); damit wirkt das baghar fast wie eine tarka (siehe Ajowan),
aber es steht am Anfang und nicht am Ende der Zubereitung.
So gut wie alle indischen Gewürze können in einem baghar verwendet werden, ausgenommen die frischen Kräuter (Koriander, Minze).
Im Süden nimmt man sogar oft Curryblätter, die am Ende von Schritt Eins zugefügt werden und mehr Hitze aushalten als mit ihnen zutrauen würde.
Ganze Korianderfrüchte sind selten im baghar anzutreffen, aber gemahlener Koriander ist häufig in jenen Rezepten,
die in Schrit Drei eine Mischung gemahlener Gewürze einsetzen. Zum Andicken der späteren Sauce kommen gemahlene Samen wie Mandel oder Mohn
zum Einsatz, die auch einen milden Nußgeschmack beitragen. Schwarzer Kreuzkümmel scheint dagegen nie verwendet zu werden.
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Zwiebelblüten
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In der kaiserlichen nordindischen Küche (siehe schwarzer Kreuzkümmel) werden Saucen ähnlich
hergestellt; jedoch treten scharfe Chilies gerne
zugunsten aromatischer Gewürze (Zimt, indischer Lorbeerblätter, Muskatblüte, Gewürznelken) in den Hintergrund.
Außerdem wird zum Ablöschen häufig Joghurt verwendet, eine relativ teure Option, die in alltäglicheren Kochstilen seltener zum Einsatz kommt.
Auf eine andere Art und Weise bereitet man auf Zwiebel basierende Saucen in
Burma zu, dessen exponierte Lage zwischen China, Indien und Thailand eine
einzigartige Küche bedingt. Was man in Burma als Curry
bezeichnet, sind
Gerichte aus Fleischstücken oder Gemüse, die in einer würzigen,
zuvor zubereiteten Sauce weichgekocht werden: Zwiebel, Knoblauch, frischer Ingwer, Kreuzkümmel,
Koriander und natürlich Chilies werden zu einer glatten Paste verrieben und in
nicht zu wenig Öl (am besten Sesamöl)
solange gebraten, bis das Öl sich von den Gewürzen scheidet. Durch
das lange Braten entwickelt sich ein sehr vielschichtiger, komplexer Geschmack,
der burmesische Curries von den Produkten anderer Länder unterscheidet.
In vielen Ländern stellt man pastenförmige Gewürzmischungen her,
indem man Zwiebeln zusammen mit anderen Gewürzen zerreibt. Da rohe
Zwiebeln beim Stehen an der Luft bitter wird, sind diese Pasten immer frisch
herzustellen; doch kann man sie auch mit etwas Säure (Essig oder Zitronensaft) haltbar machen. Eine besondere Vielfalt
an auf Zwiebeln basierenden Pasten weist Indonesien auf (bumbu, siehe Zitronengras); ein
Beispiel aus der Neuen Welt ist jamaicanisches jerk (siehe Piment). Beide Pasten werden vorwiegend zum Marinieren
von rohem Fleisch oder Fisch verwendet.
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Zwiebeln in einem Garten
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Beim Rösten verändert sich der Zwiebelgeschmack und wird
süßlich–würzig; die besten Resultate erzielt man bei ganz
langsamem Braten in relativ kühlem Fett (ich ziehe oft Butterfett
ghi [घी]
vor, aber das mag eine persönliche Marotte sein).
Geröstete Zwiebelringe sind eine beliebte Speisedekoration in Mitteleuropa
(z. B. für deutsches Kartoffelpüree), man findet sie aber
auch oft in Vietnam und besonders in Indonesien, wo sie fast jeden nasi goreng (gebratenen Reis, siehe Galgant) zieren. Wenn man das Fett aus
ihnen heraussaugt oder -preßt, so lassen sie sich einige Stunden unter
Luftabschluß lagern, ohne ihre knusprige Konsistenz zu verlieren.
Gekochte Zwiebeln schmecken mild süßlich und können als
Gemüse gegessen werden. In manchen mild gewürzten europäischen
Speisen tragen gekochte Zwiebeln zum Gesamtgeschmack bei, etwa in der
deutschen Variante des bouquet garni, mit der man Fleischbrühen
würzt (Suppengrün, siehe Petersilie).
Ein anderes Beispiel ist gefilte fisch aus der jiddischen
Küche (siehe weißer Pfeffer).
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Zwiebeln in einem Garten
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Eine interessante Kombination aus gebratenen und gekochten Zwiebeln findet sich in der
chinesischen Kochtechnik cong shao [蔥烧] Zwiebel-Schmoren
:
Sie besteht darin, daß man Zwiebeln in Fett brät und danach mit viel Brühe ablöscht.
In der entstandenen Flüssigkeit werden dann andere Speisen gegart. Siehe auch
chinesischen Zimt für eine ausführlichere Beschreibung der
verwandten Methode Rotschmoren
.
Getrocknete Zwiebeln weisen wieder einen anderen Geschmack auf und entwickeln
ein eher knoblauchähnliches Aroma. Zwiebelpulver oder -granulat ist in den
Vereinigten Staaten ziemlich beliebt, vor allem im Süden, und auch in
México. Es tritt auch in kommerziellen Gewürzmischungen für
das texanische Gericht chili con carne auf, zusammen mit Kreuzkümmel, Oregano,
Knoblauch, Pfeffer und
Chilies. Getrocknete Zwiebeln sind ein charakteristisches
Gewürz in der eritreischen Küche (siehe langer Pfeffer).
Schalotten stammen von einer nah verwandten Art, Allium
ascalonicum. Sie sind rein äußerlich daran zu erkennen,
daß die Zwiebeln zu mehreren wachsen; ihr Geschmack ist feiner als der
der gewöhnlichen Küchenzwiebel. Schalotten sind besonders in der
nordfranzösischen Küche sehr beliebt; zum Unterschied von Zwiebeln
werden sie nie angebräunt, sondern nur gekocht, da die Franzosen meinen,
Schalotten würden beim Braten bitter. Ganz besonders gerne verwendet man
sie feingehackt für Rotweinsaucen. Eine klassische Verwendung ist die
für sauce béarnaise (siehe Estragon).
Sehr viele fernöstliche Kochbücher empfehlen, grundsätzlich
statt Zwiebeln Schalotten zu verwenden, da letztere sowohl in Größe
als auch im Geschmack den asiatischen Zwiebeln näherkommen. Sie eignen
sich besonders als Zwiebelersatz für indonesisches bumbu
(siehe Zitronengras).