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Blühende Weinraute
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Weinraute in Blüte
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Die Weinraute ist eine jener Gewürzpflanzen,
deren ausgeprägt bitterer Geschmack einer weiteren Verbreitung im Wege
steht; siehe auch Zitwer zu diesem Thema. Die alten
Römer schätzten ihren bitter–aromatischen Geschmack (siehe auch
Silphion) und würzten oft mit frischen
Rautenblättern; ein berühmtes Beispiel ist moretum,
eine Paste aus gestoßenem Knoblauch,
Hartkäse und Kräutern (Koriander,
Sellerie, Weinraute). Andererseits galt die
Bitterkeit dieser eigenartigen Pflanze besonders in der Dichtung als
sprichwörtlich. Diese ambivalente Haltung zur Weinraute wich allerdings
in den letzten zweitausend Jahren einer heute fast universellen Ablehnung.
Neben gelegentlicher Verwendung in Italien scheint die Weinraute heute nur
noch in Äthiopien populär zu sein. Frische Rautenblätter dienen
dort zum Würzen von Kaffee (der wahrscheinlich in Äthiopien
heimisch ist), und Raute wird auch oft als Bestandteil
der scharfen Gewürzmischung berbere [በርበሬ]
(siehe langer Pfeffer) genannt. Neben
den Blättern verwendet man in Äthiopien einzigartigerweise auch
die noch intensiver und etwas scharf schmeckenden Früchte, die ihren
Geschmack beim Trocknen viel besser bewahren.
Die Verwendung der Weinraute in der Küche gilt als etwas altmodisch, was
wohl auch damit zusammenhängt, daß ihre Kultur erst im letzten
halben Jahrhundert stark zurückgegangen ist; außerdem entwickeln
ältere Menschen häufig eine positive Beziehung zum bitteren Geschmack
und verwenden bittere Gewürze häufiger. Allerdings ist die Weinraute
deshalb nicht zu verachten; Fleisch, Eier und Käse können von diesem
fast unbekannten Küchenkraut durchaus profitieren, sofern man hinreichend
vorsichtig dosiert. Da der bittere Geschmack durch Säure etwas
gedämpft wird, kann man auch eingelegtes Gemüse mit einem
Weinrautenblatt verfeinern, einen Salat damit würzen oder einem
selbstgemachten Kräuteressig (siehe Dill)
damit eine sehr persönliche Note verleihen.
Wegen ihrer generellen Affinität zu etwas sauren Speisen paßt
Weinraute zusammen mit Majoran, Basilikum und Liebstöckel zu würzigen italienischen
Tomatensaucen, die auch Oliven und Kapern enthalten.
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Aleppo-Raute, Ruta chalepensis, blühende Pflanze
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Alepporaute, Ruta chalepensis, blühende Pflanze
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Wer Weinrautenaroma schätzt, aber den bitteren Beigeschmack so weit wie
möglich vermeiden möchte, der kann sich zunutze machen, daß
Weinrautenblätter, ähnlich wie schwarzer Tee, das ätherische
Öl viel rascher abgeben als den Bitterstoff: Wenn man die ungeschnittenen
Blätter nur kurz (etwa eine Minute) in der heißen Speise ziehen
läßt, erreicht man ein Maximum an Aroma mit einem Minimum an
Bitterkeit. Siehe Petersilie über verschiedene
Arten von Würzsträußen (bouquet garni).
Wie viele bittere Pflanzen (etwa auch Zitwer)
eignet sich auch die Weinraute zum Aromatisieren von Schnäpsen, denen man
damit auch eine schwach tonisierende und magenstärkende Wirkung verleiht,
was sich besonders nach einem üppigen Festmahl als nützlich erweisen
kann. Die bekannteste rautenhaltige Spezialität ist der italienische
grappa con ruta, ein Tresterschnaps mit einem kleinen
Rautenzweig pro Flasche. Zu diesem Zweck verwendet man meist die verwandte
Alepporaute, R. chalepensis.
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Alepporaute, Ruta chalepensis, blühende Pflanze
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Die Weinraute darf nicht mit der ebenfalls bitteren Eberraute verwechselt werden, deren Aroma
stärker und mehr zitronenähnlich ist und
die ebenfalls in der Küche eher ein Randdasein führt; eine weitere
Gemeinsamkeit ist die potentielle Giftigkeit, die allerdings in
küchenkompatiblen Mengen nicht zum Tragen kommt.
Extreme
Überdosierung des ätherischen Weinrautenöles kann sogar zu
Fehlgeburten führen; der historische französische Name
herbe à la belle fille Kraut der schönen Mädchen
spielt ebenfalls auf die abortive Wirkung an. Weiters wurden schwere
Vergiftungen als Folge unkontrollierter volksmedizinischer Anwendung der
Wurzel beobachtet. Einige nordamerikanische Quellen weisen Weinraute
als tödliche Giftpflanze aus, was mir lächerlich
übertrieben scheint (außer, das Inhaltsstoffspektrum
wäre in Amerika und Europa verschieden).