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Zitronenfrucht aus dem indischen Himalaya
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Die Zitrone wurde in Europa erst durch Kreuzzüge bekannt;
mittelalterliche oder gar antike Erwähnungen der Zitrone meinen immer die
saftarme, aber sehr aromatische Zitronatzitrone, in der man zu verschiedenen
Zeiten den alttestamentarlichen Apfel (brr, sauer!; allerdings schwebte dem
Autor der biblischen Schöpfungsgeschichte wohl eher ein Granatapfel
vor) oder auch die Äpfel der
Hesperiden wiederzuerkennen glaubte. Die Frucht
hat auch heute noch als
Fruchtbarkeitssymbol in der jüdischen Religion kultische Bedeutung.
Die Zitronatzitrone wurde in der Antike mehr als Zierpflanze und Heilmittel
denn als Gewürz angebaut. Um Speisen einen säuerlichen Geschmack zu
verleihen, verwendeten die alten Römer lieber Essig oder gelegentlich Sumach (siehe auch Silphion); auch über die Verwendung der
Zitronenenschale als Aromamittel in der altrömischen Küche ist
mir nichts bekannt, allerdings enthält der Apicius ein Rezept für
mit Citrusblättern aromatisierten Wein, der als Ersatz für
Rosenwein gelten konnte (siehe Silphion).
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Zitronenfrucht aus dem indischen Himalaya
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Die kulinarische Bedeutung der Zitronatzitrone (Zedrate) liegt in ihrer dicken
Schale, die in einem aufwendigem Verfahren in Salzwasser eingelegt und dann
kandiert wird. Kandierte Zedratenschale (Zitronat, Succade) dient vor
allem als Würze für verschiedene Arten von Kuchen, z. B. in der
Weihnachtsbäckerei. Daneben gibt es von der Zitronatzitrone aber
auch einige Ziersorten, deren große, wohlriechende Früchte teilweise
ziemlich skurrile Formen zeigen, z. B. der Kultivar sarcodactylus,
der in wörtlicher Übertragung des chinesischen Namens
fo shou gan [佛手柑] Buddha-Hand-Mandarine
im Englischen als Buddha’s hands bekannt ist. In dieser
Sorte (cf. sarcodactylus) hängen die einzelnen
Spalten
der ansonsten zitronenartigen
Frucht nur an der Fruchtbasis zusammen und verästeln sich nach unten zu
einer besen- oder handartigen Struktur.
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Zitronenbäumchen mit Blüte und Frucht
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Demgegenüber wird die Zitrone überwiegend wegen ihres Saftes
in der Küche verwendet. Er ist Quelle einer einzigartigen, intensiven
und dennoch fruchtigen Säure; es gibt wohl keine Küche auf der
Welt, die nicht zumindest gelegentlich auf Zitronensaft (oder den
ähnlich sauren, aber noch aromatischeren
Limettensaft) zurückgriffe. Besonders
beliebt ist Zitronensaft im östlichen Mittelmeergebiet, z. B. libanesisches
tabbouleh (siehe Petersilie),
und in Italien. Siehe auch Mango über
andere saure Gewürze.
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Zitronenbäumchen mit Blüte und Frucht
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Zitronensaft (und manchmal auch Zitronenschale) ist die Schlüsselzutat
zur griechischen Ei–Zitronen-Sauce
avgolemono [αυγολέμονο],
die in ihrer einfachsten Form nur aus Fleisch- oder Fischbrühe,
Zitronensaft und Eigelb (und etwas schwarzem
Pfeffer) besteht; manchmal wird sie auch mit Mehl zusätzlich
eingedickt oder mit Butter angereichert (in letzterem Fall nimmt sie dann
zum Teil den Charakter einer emulgierten Sauce an, siehe Estragon). Avgolemono ist
wunderbar cremig und schmeckt erfrischend säuerlich; die Sauce
kann man zu gekochtem Fleisch oder Gemüse reichen, oder mit
Reis bzw. Nudeln angereichert als Suppe servieren.
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Reife Zitronen am Baum
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In der westlichen Küche wird gebratener oder gegrillter Fisch so gut wie
immer mit Zitronensaft serviert, um den manchmal etwas aufdringlichen und
tranigen Fischgeschmack zu mildern. Sehr wichtig ist weiters die Verwendung
von Zitronensaft zu erfrischenden Salaten wie tabbouleh.
Zitronensaft verstärkt das Aroma vieler Obstsorten,
und ein paar Spritzer Zitronensaft plus etwas Zucker ergibt eine leichte
süßsaure Geschmacksnote, mit der man viele europäische
Gemüsespeisen verfeinern kann. Außerhalb der Tropen muß
Zitronensaft auch oft als Ersatz für
Limettensaft herhalten.
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Reife Zitronen am Baum
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Unreife Zitronenfrüchte am Baum
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Zweig mit reifen Zitronen
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Die Verwendung von Zitronenschale ist demgegenüber eher unbedeutend.
Man kann Zitronenschale oft unterstützend in denjenigen Speisen
verwenden, die auch mit Zitronensaft gewürzt werden, also vor allem
Fischsuppen oder ‑eintöpfe. Ritschert, ein typisch
südösterreichischer Eintopf aus weißen Bohnen,
geräuchertem Schweinefleisch und Rollgerste (Graupen), wurde von meiner
Großmutter immer mit einer kräftigen Portion Zitronenschale
zubereitet, obwohl sie Zitronenschale für keine andere salzige Speise
verwendete. Ich bin ziemlich überrascht, daß ich nirgendwo im Web
oder meinen Kochbüchern ein Rezept gefunden habe, das ihrem gleichkommt.
In Süditalien, wo es immer genügend frische
Zitronen gibt, werden sogar Pasta-Saucen aus gehackten Zitronen
(oder Zitronensaft plus abgeriebener Zitronenschale) zubereitet.
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Zweig mit reifen Zitronen
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In Marokko werden erntefrische Zitronen grob eingeschnitten und mit viel Salz
eingelegt; nach einer Reifungsperiode entsteht daraus ein intensiv schmeckendes
Würzmittel (l'hamd l'markad,
hocharabisch al-hamid al-marqad [الحامض المرقد]).
Eingelegte marokkanische Zitronenschale wird oft zu
tagine (tajin [طاجن]),
einem im gleichnamigen Tontopf gegarten Fleisch- oder Fischeintopf,
als Würze verwendet.
Zitronenschale muß sehr vorsichtig
abgerieben werden: Das ätherische Öl kommt nur im Pericarp vor,
einer hauchdünnen gelbgefärbten Schicht an der Oberfläche der
Frucht. Das weiße Mesocarp schmeckt dagegen sehr bitter. Daß beim
Reiben von Zitronenschale fast unvermeidlicherweise kleine Anteile Mesocarp
mitabgerieben werden, ist nicht unbedingt ein Nachteil (siehe auch
Zitwer über den Nutzen bitterer
Gewürze), aber jedenfalls
eignet sich solcherart gewonnene Zitronenschale nicht für empfindliche
Gerichte, z. B. Süßspeisen; da greift man besser auf Zitronenessenz
oder Zitronat zurüch oder reibt wirklich vorsichtig.