Französischer Estragon in Blüte |
Französischer Estragon (steriler Zweig) |
Es ist eigentlich verblüffend, daß Estragon heutzutage in den Küchen Europas so wenig verwendet wird — der zartwürzige Anisduft empfiehlt sich für viele subtil gewürzte Speisen, wie sie in West- und Mitteleuropa geschätzt werden. Vielleicht erklärt sich die geringe Beliebtheit des Estragon daraus, daß dieses Gewürz unbedingt frisch verwendet werden muß und daß andererseits die meisten Gärtnereien nur den fast geschmacklosen russischen Estragon im Sortiment führen. Somit ist Estragon heutzutage vielerorts fast noch ein Geheimtip, ein Würzkraut für Experten; dem kulinarisch weniger Interessierten begegnet er fast nur in Form von mit Estragon aromatisiertem Speisesenf (siehe weißer Senf). In den USA kennt man eher den ähnlich, aber süßer schmeckenden Winterestragon.
Estragon ist dagegen in Südeuropa, vor allem Frankreich, beliebt;
er ist
Die meisten orientalischen Küchen verwenden Estragon nur sporadisch, aber die generell kräuterverliebte georgische ist hier eine Ausnahme: Eine lokale Estragonsorte, die ähnlich wie deutscher Estragon (aber weniger intensiv) schmeckt, dient in Georgien als Grüngarnitur und in einigen Speisen als Charaktergewürz. So besteht chakapuli [ჩაქაფული] aus Lammfleischstücken, die mit etwas Weißwein weichgekocht und mit großzügigen Mengen frischem Estragon gewürzt sind, der grobgehackt einige Zeit mitgekocht wird. Meistens erhält das Gericht durch unreife t’q’emali-Pflaumen [ტყემალი] oder die daraus hergestellte Tkemali-Sauce auch noch eine fruchtige Note. In Georgien gibt es auch einen kohlensäurehaltigen Softdrink mit Estragonaroma und einer knallig-künstlichen grünen Farbe.
Frischer deutscher (französischer) Estragon ist wegen seines vollen Aromas eine große Bereicherung für zartschmeckende Geflügelgerichte, auf Sauerrahm oder Mayonnaise basierende Kräutersaucen und Pilzgerichte. Besonders gerne verwendet man ihn für Salate; oft werden zu diesem Zweck Essig (siehe auch Dill über Kräuteressig) oder Olivenöl mit einem Zweig Estragon aromatisiert. Für diese Zwecke kann man Estragon auch mit Kapern kombinieren.
Estragon ist die typische Würze für sauce béarnaise, eine zu Recht hochgelobte Kreation der klassischen französischen Küche. Zu ihrer Herstellung schlägt man geschmolzene Butter mit Eidotter schaumig. Ihren Geschmack verdankt die sauce béarnaise einem konzentrierten Sud aus Weißweinessig, der mit Schalotten (siehe Zwiebel), schwarzen Pfefferkörnern, Estragon und Petersilie auf etwa ein Fünftel seines ursprünglichen Volumens eingekocht wurde. Diese feinwürzige Sauce wird zumeist zu gebratenem oder gegrilltem Fleisch empfohlen, schmeckt aber auch zu gekochtem Gemüse.
Die sauce béarnaise kann als eine würzigere Variante der sauce hollandaise betrachtet werden, die nur aus Zitronensaft, Weißwein, Dotter und Butter besteht; sie wird oft zu gekochtem Spargel oder Artischocke empfohlen. Derartige Saucen heißen emulgierte Saucen, weil sie aus kleinen Fetttropfen bestehen, die in Wasser oder einer ähnlichen Flüssigkeit (Essigsud, Zitronensaft) fein verteilt sind; Chemiker nennen ein derartiges System eine Emulsion. Eine andere emulgierte Sauce ist die Mayonnaise, die man aus Pflanzenöl, Eidotter und Zitronensaft oder einer anderen säuerlichen Flüssigkeit herstellt.
Durch ihren hohen Fettgehalt lassen sich emulgierte Saucen sehr gut mit
Kräutern und Gewürzen nach der Phantasie des Koches aromatisieren.
Offensichtliche Kandidaten für eine kräuterhaltige hollandaise oder eine variierte béarnaise
sind Kerbel, Dill oder
Basilikum; weniger naheliegend, aber sehr gut ist
die Kombination aus Zitronenmyrte mit Pfeffer. Eine ausgezeichnete, aber ziemlich
unbekannte Zubereitung ist auch die sauce maltaise
(Malteser Sauce, benannt nach der Mittelmeerinsel Malta), die durch Saft und
geriebene Schale frischer Orangen sehr fruchtig
schmeckt und am besten zu Fisch oder Meeresfrüchten (aber auch
Spargel) paßt; eine Spur
Muskat macht sie noch aromatischer. Als Beispiel
für eine aromatisierte Mayonnaise kann aïoli gelten
(siehe Knoblauch). Auch die italienische
Thunfischsauce (salsa tonnata, siehe
Kapern) ist
ein Beispiel für eine (allerdings stark variierte) mayonnaiseartige
Sauce.