Zweig mit Blüten
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Die achtzackigen Kapseln des Sternanis sind ein beliebtes Gewürz in China. Die chinesische Küche ist eine sehr komplexe und vielschichtige Materie und darüberhinaus eine der ältesten Kochtraditionen der Welt.
In dem heterogenen Riesenstaat China hat sich eine Vielzahl verschiedener Gar-, Schneide- und Würztechniken etabliert; allerdings spielen in der chinesischen Küche Gewürze eine geringere Rolle als in den Küchen seiner südlichen Nachbarländer. Allen Kochstilen Chinas gemeinsam ist, daß in allen Speisen ein harmonisches Gleichgewicht zwischen den vier Geschmacksempfindungen (wei [味]) herrschen muß: süß (tian [甜] oder gan [甘]), sauer (suan [酸]), salzig (xian [鹹]) und scharf (la [辣]); von geringerer Bedeutung ist die Bitterkeit (ku [苦]); der betäubende Geschmack des Sichuanpfeffers (ma [麻]) gilt oft als eine Variante davon. Abgesehen von dieser Gemeinsamkeit unterscheiden sich die einzelnen Stile sehr voneinander.
Die in chinesischen Restaurants der westlichen Hemisphäre so dominierende Technik des stir fry (chao oder chow [炒]: unter heftigem Rühren bei hoher Hitze im Wok zubereiten, siehe Ingwer für ein Beispiel) ist nur eine unter vielen Gartechniken der chinesischen Küche, und sie spielt besonders in der mildgewürzten Küche der Provinz Kanton (Guangzhou [广州, 廣州]) eine große Rolle. Die etwas süßliche Shanghai-Küche [上海] ist unter anderem für die Technik des Rotschmorens bekannt; Sternanis ist dabei ein unentbehrliches Gewürz (siehe Kassie für Details). In der Peking-Küche (Beijing [北京]) werden oft trockene Speisen ohne Sauce zubereitet; außerdem verdrängt Weizen zum Teil den Reis. Das bekannteste Beispiel ist die Peking-Ente (beijing kao ya [北京烤鸭]). Die beiden zuletzt genannten Küchen sind in chinesischen Restaurants in Europa sehr unterrepräsentiert. Zuletzt bleibt noch die scharfe Sichuan-Küche zu erwähnen, die heute in ganz Chine gerne gegessen wird: Im fruchtbaren Bergland der Provinz Sichuan [四川] würzt man kräftig mit Chili (oft in Form von scharfer Bohnenpaste) und dem einheimischen Sichuanpfeffer; doch verwenden Sichuan-Köche auch oft Orangenschalen, Süßholz, schwarzen Cardamom oder sogar lokale Heilkräuter. Eine ähnlich würzige, aber viel weniger bekannte Küche findet man auch in der benachbarten Provinz Yunnan [云南, 雲南], die in kulinarischer Hinsicht vor allem für ihren überfermentierten roten Tee (pu er cha [普洱茶]) bekannt ist. Ganz andere, aber auch recht scharfe, Kochstile findet man in Hunan [湖南] und Guizhou [贵州].
In ganz China kennt und schätzt man das
Fünf-Gewürze-Pulvers (Mandarin wu xiang fen, ng geung fun [五香粉],
Kantonesisch ngh heung fan [五香粉], angeblich
auch hung-liu).
Diese Mischung enthält Sternanis, Kassie
(oder stattdessen Zimt), Gewürznelken,
Fenchel und Sichuanpfeffer, üblicherweise zu gleichen
Teilen. Weitere, optionale Zutaten sind Ingwer, Galgant (oder Kleiner Galgant), Schwarzer
Cardamom oder sogar Süßholz. Am
besten hält man die Gewürze ganz vorrätig und mahlt sie vor
Gebrauch miteinander.
Detailaufnahme einer Blüte von Sternanis
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Fünf-Gewürze-Pulver wird oft Marinaden für Fleisch hinzugefügt, oder man würzt damit einen dünnen Teig aus Stärke und Eiklar, mit dem man Fleisch oder Gemüse vor dem Ausbacken überzieht. Weiters wälzt man auch oft Fleischstücke in einer Mischung aus Reis- oder Maisstärke und Fünf-Gewürze-Pulver und fritiert sie dann knusprig. Da das Fünf-Gewürze-Pulver sehr stark und aromatisch ist, muß es mit Bedacht verwendet werden.
Der Geschmack von Fünfgewürzepulver kommt besonders bei gedämpften Speisen gut zum Tragen. Gedämpfter Schweinebauch kann köstlich schmecken, auch, wenn er niemals ganz mager sein wird: Bauchfleisch vom Schwein (im Englischen als five-flower cut bezeichnet, weil er zwei magere und drei fette Schichten aufweist) wird mit Sojasauce und Knoblauch mariniert, in einer Mischung aus Fünfgewürzepulver und trocken geröstetem, gemahlenem Reis gerollt und ganz weich gedämpft (wu hua rou [五花肉]). Das Resultat schmeckt sehr ungewöhnlich, aromatisch–mild. Für weitere Rezepte mit Sternanis aus der chinesischen Küche siehe Orange (der Rindfleischeintopf au larm) und chinesischen Zimt (über master sauce).
Außerhalb Chinas schätzt man den Sternanis nicht so sehr. Im Norden Vietnams ist er zum Aromatisieren von Rindsuppen sehr beliebt (siehe vietnamesischer Zimt). Von gewisser Bedeutung ist seine Verwendung in Thailand: Man setzt ihn manchmal nordthailändischen Schmorgerichten zu, und vor allem im Süden dient er zum Aromatisieren von Eistee. Thailändischer Eistee (cha dam yen [ชาดำเย็น]) wird aus Schwarztee zubereitet und mit gepulvertem Sternanis, manchmal auch Orangenblüten, Süßholz, Vanille und Zimt, gewürzt; man trinkt ihn mit Zucker, Kondensmilch und gestoßenem Eis. Zur Erzielung einer leuchtend–orangen Farbe werden oft Azofarbstoffe zugesetzt, typischerweise Tartrazin.
Sternanis spielt weiters eine Rolle in der persischen und pakistanischen (daher auch nordindischen) Küche; in Südindien kennt man Sternanis vor allem in der Küche Keralas, wo er oft in lokalen Variationen der Gewürzmischung garam masala [ഗരം മസാലാ] (siehe dazu unter Kreuzkümmel) auftaucht und in Form von Sternfragmenten die in scharfer, südindischen Tradition gekochten biriyani [ബിരിയാണി] ziert (siehe Cardamom).
Von Indien wurde er auch nach Indonesien eingeführt. In Indonesien ist seine Bedeutung allerdings sehr gering, außer in den Küchen traditionsbewußter Sultane, die noch einen feudalen indischen Kochstil pflegen (etwa in Medan im Nordosten Sumatras). Auch die arabisch beeinflußte Küche Malaysias und Südthailands benutzt ihn gelegentlich (siehe Kokos für ein Beispiel).
Sternanis hat es auch in der westlichen Küche zu einer gewissen
Bekanntheit gebracht; man verwendet ihn gerne für Glühwein und als
billigeren Ersatz für Anis in verschiedenen
Süßspeisen und ganz besonders Likören. Die meisten
Anisliköre (Pernod, Anisette, Pastis) haben heute ihren Anis wenigstens
zum Teil durch Sternanis ersetzt (siehe auch Beifuß).