Das ätherische Öl (nur 0.03 bis 0.3%) enthält eine Vielzahl verschiedener
Terpene und Terpenderivate, z. B. 1,8-Cineol, Kampfer, Linalool, Thujon,
4-Terpineol, Borneol, α-Cardinol und weitere Mono- und Sesquiterpene.
Die Zusammensetzung schwankt quantitativ und qualitativ in Abhängigkeit
von Boden, Klima, Dünger und Erntezeitpunkt.
Thujon, das sich auch in Wermut, Salbei,
Lebensbaum (Thuja) und nach manchen Quellen in
Eberraute findet, ist ziemlich giftig und wird
allgemein für die gesundheitsschädliche Wirkung von mit Wermut
aromatisierten Alkoholika verantwortlich gemacht. Absinth, die Modedroge
des Fin de siècle vor einhundert Jahren in
Frankreich, ist ein Wermutlikör, der auch große Mengen an anderen
Gewürzextrakten (vor allem Anis und
Fenchel) enthielt und der gemeinsam mit Zucker
und Wasser getrunken wurde. Seine psychoaktiven Eigenschaften werden sowohl auf
den hohen Alkoholgehalt (60% und mehr) als auch auf das Thujon (typischerweise
50–100 ppm) zurückgeführt. Da sich beim Dauergebrauch
schwerste Nervenleiden entwickelten, wurde Absinth in den meisten
europäischen Ländern (außer Spanien und Portugal) verboten;
als Ersatz konnten sich reine Anisliköre (z. B. Pastis, Pernod) etablieren.
Das Absinth-Verbot wurde 1998 in der Europäischen Union wieder aufgehoben,
und Absinth mit einem Thujon-Gehalt von max. 35 ppm ist nun wieder legal
erhältlich. Es wird sich herausstellen, ob diese Spirituose einen
Teil ihrer früheren Beliebtheit zurückerobern kann.
Da Wermut sehr bitter schmeckt, ist es fast unmöglich, versehentlich
toxisch relevante Mengen der Pflanze aufzunehmen. Selbst wenn
man das bittere Absinthin vom Thujon durch Destillation abtrennt, ist
das resultierende Getränk nur mit Zucker zu genießen. Mit Wermut
aromatisierte Weine (Vermouth) enthalten nur ganz geringe Mengen Thujon.
Der deutsche Name Beifuß (althochdeutsch pīpōʒ,
mittelhochdeutsch bībōʒ)
wird von dem althochdeutschen Verb bōʒen stoßen, schlagen
abgeleitet; der Zusammenhang ist unklar, aber vielleicht wurden die Blätter
zur Verwendung gestoßen, oder der Pflanze wurden böse
Mächte abwehrende (abstoßende) Kräfte nachgesagt.
Verwandt ist auch Amboß.
Die volksetymologische Umdeutung zu Fuß (sichtbar bereits an
der mittelhochdeutschen Nebenform bīvuoʒ) steht in Zusammenhang
mit einem Aberglauben, wonach Beifuß beim Laufen Ausdauer und
Geschwindigkeit verleihe, wie bereits Plinius berichtete.
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Beifuß-Pflanze
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Beifuß-Blüten
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Das englische mugwort geht auf eine altenglische Wurzel
mu- Fliege
zurück, zu der viele weitere Ableitungen in anderen
indoeuropäischen Sprachen existieren (griechisch
myia [μυία],
russisch mukha [муха]
und englisch mosquito, alle mit der Bedeutung
Mücke
); die
zugrundeliegende indoeuropäische Wurzel MU- ist wahrscheinlich
onomatopoetisch. Mugwort wird oft volksetymologisch
als mug-wort Kraut für einen Krug (Bier)
gedeutet,
was sich auf die Verwendung von Beifuß in alten Bierbraurezepturen
beziehen dürfte (siehe Gagel für frühneuzeitliche
Biere).
Das zweite Element in mugwort ist dem deutschen Wurz eng
verwandt und häufiger Bestandteil von Pflanzennamen; im Althochdeutschen
bedeutete wurz gleichermaßen Wurzel
und Pflanze
(vgl.
die vielen auf -wurz endenden Pflanzennamen wie Beinwurz, Brechwurz,
Haselwurz, Hauswurz und auch das Wort Gewürz selbst). Damit
eng verwandte germanische Wörter sind englisch root (altenglisch wyrt),
schwedisch ört und gotisch waurts Wurzel
.
Außergermanisch kommen noch griechisch rhadamnos [ῥάδαμνος]
Zweig
, lateinisch radix Wurzel
und altirisch fren Wurzel
hinzu, die sich alle von einer indoeuropäischen
Wurzel WRED ableiten lassen. Für weitere etymologische
Zusammenhänge siehe Kren.
Eine ähnliche Bildung ist das schwedische malört
Mottenkraut
, das allerdings für den nahe verwandten Wermut steht.
Angeblich lassen sich mit getrocknetem Wermut Motten von Kleidern fernhalten.
Zu den germanischen Namen der eng verwandten Pflanzenart Wermut
(Artemisia absinthium) läßt sich leider nicht viel
sagen: Der englische Name wormwood bezieht sich nur scheinbar
auf die wurmtreibenden (vermifugen) Eigenschaften der Pflanze, ist aber
in Wahrheit mit deutsch Wermut urverwandt (Altenglisch vermod, althochdeutsch wermuota). Die
zugrundeliegende gemeingermanische Wurzel
wermodaz ist unbekannter Herkunft. Vgl. auch den Namen vermouth für einen mit Wermut gewürzten Wein.
Französisch armoise amère bitterer
Beifuß
bezieht sich auf die im Vergleich zu
Beifuß gesteigerte Bitterkeit.
Der botanische Artname des Wermuts, absinthium war auch der
lateinische Name von Wermut in der Antike; er geht auf griechisch
apsinthion [ἀψίνθιον]
(im Neuen Testament apsinthos [ἄψινθος])
zurück und hat in einigen romanischen Sprachen bis heute überlebt,
z. B. italienisch assenzio, spanisch ajenjo,
galizisch axenxo und portugiesisch absinto.
Weiters findet man ihn durch Entlehnung in einigen nicht verwandten Sprachen,
etwa baskisch axinse und
hebräisch absint [האבסינט].
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Wermutblüten
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Wermut, steriler Sproß
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Die Herkunft des griechischen apsinthion ist nicht bekannt.
Eine Theorie erklärt das Wort als Zusammensetzung von a (Verneinung) +
psinthos [ψίνθος],
einem etwas obskuren Adjektiv angenehm
; (vgl. auch Sanskrit
ashiva [अशिव] unangenehm, gefährlich
).
Die Bedeutung unangenehm
paßt tatsächlich zu einer
so bitteren Pflanze, könnte aber auch aus Volksetymologie resultieren.
Wahrscheinlicher stammt der Name aus einer
östlichen Sprache: Der Name aspand bedeutete im Mittelpersischen eine
bittere Pflanze (wahrscheinlich die Steppenraute Peganum harmala); aber im modernen
Farsi steht afsentin [افسنطین]
für Wermut
und
espand [اسپند] für Steppenraute
.
Die Steppenraute ist mit der im Deutschen als Raute
oder Weinraute bekannten Pflanze nicht verwandt.
In den meisten slavischen Sprachen findet man untereinander ähnliche Namen
für Beifuß und seine Verwandten:
Polnisch piołun, weißrussisch palyn [палын],
Slowakisch palina, tschechisch pelyňek,
slovenisch und kroatisch pelin und auch bulgarisch pelin [пелин]
(siehe weiter unten für die russischen und ukrainischen Pendants).
Geographisch benachbarte Sprachen haben diese Namen z.T. entlehnt, z. B.
albanisch, rumänisch und türkisch pelin und litauisch
pelynas. Diese Namen leiten sich von der gemeinslavischen
Wurzel PAL brennen, hell, klar
ab, die selbst wieder von
indoeuropäisch PEL grau
kommt; vgl. deutsch fahl
oder falb und etwa lateinisch pallidus und
Sanskrit pandu [पांडु] bleich
.
Über das Benennungsmotiv gibt es verschiedene Spekulationen: So könnte
sich der Name auf die hellgrauen Blätter des Wermuts beziehen, oder auf
seinen brennend
bitteren Geschmack. Siehe unten für einen weiteren
möglichen semantischen Zusammenhang.
Der Erklärung der slavischen Namen vom Typ pelin wird weiters dadurch
kompliziert, daß diese Namen trotz ihrer phonetischen Ähnlichkeit
verschiedene Bedeutungen haben können: Manche beziehen sich primär auf
Wermut (oder ganz nahe und sehr ähnliche Verwandte wie den Pontischen
Wermut, Artemisia pontica), andere wiederum auf Beifuß;
zumeist erstreckt sich ihre Bedeutung aber auf verschiedene Vertreter der
Gattung Artemisia. Selbst innerhalb einer Sprache kann die
Bedeutung regional schwanken und sich auf die im jeweiligen Gebiet
häufigste Art beziehen. Um eine einzelne Art eindeutig zu benennen, greift
man meist zu qualifizierenden Adjektiven, z. B. im Russischen:
Beifuß polyn obyknovennaya [полынь обыкновенная] Gewöhnliche Polyn
,
Estragon polyn estragonnaya [полынь эстрагонная] Estragon-Polyn
,
Eberraute polyn lechebnaya [полынь лечебная] Heilende Polyn
und Wermut polyn gorkaya [полынь горькая] Bittere Polyn
.
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Beifußpflanzen; die dunklen Stengel sind gut zu erkennen.
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In einigen ost- und westslavischen Sprachen hat Beifuß einen zusätzlichen
Namen, der angeblich schwarzer Stengel
oder dunkles Gras
bedeutet: Tschechisch černobýl,
ukrainisch chornobyl [чорнобиль]
und russisch chernobyl [чернобыль],
wobei letztere Name gegenüber dem oben besprochenen polyn
ungebräuchlicher ist. Siehe Nigella über
den ersten Wortbestandteil, der schwarz
bedeutet. Sowohl im Russischen
als auch im Ukrainischen bezeichnen diese Namen aber auch eine Stadt in der
nördlichen Ukraine, die durch einen folgenreichen Nuklearunfall
1986 traurigen Weltruhm errang und die auf Deutsch meist Tschernobyl
(korrekter ukrainisch Tschornobyl) geschrieben wird.
Diese Übereinstimmung wurde oft
mit einem biblischen Vers in der Apokalypse in Verbindung gebracht.
Dort heißt es zur Dritten Posaune, daß ein Strafengel
einen großen Stern in die Meere warf und diese dadurch bitter und
giftig wurden:
kai to onoma tou asteros legetai ho Apsinthos
[καὶ τὸ ὄνομα τοῦ ἀστέρος λέγεται ὁ Ἄψινθος]
und der Name des Sterns heißt Wermut
. Nimmt man das bittere
Wasser als Metapher für Radioaktivität und setzt man Wermut mit
Beifuß gleich, so läßt sich der Reaktorunfall als
von der Bibel vorhergesagt
deuten.
Tatsächlich sind Wermut und Beifuß zwar eng verwandt, aber nicht
identisch. In ukrainischen bzw. russischen Bibelübersetzungen ist der
griechische Pflanzenname apsinthos daher nicht als
chornobyl bzw. chernobyl wiedergegeben,
sondern als polyn
(russisch imya sej zvezde polyn [имя сей звезде полынь],
ukrainisch a jmennya zori tij polyn [а ймення зорі тій полин]).
Westliche Journalisten, verwirrt von der Mehrdeutigkeit dieses Wortes, haben
wiederholt behauptet, das in der Bibel erwähnte Kraut sei dasselbe, das auf
Russisch chernobyl heißt; das könnte sogar stimmen
(für eine russische oder ukrainische Bibel), da polyn
und chernobyl wirklich in der Bedeutung überlappen.
Letztlich ist die Diskussion auf Basis von Übersetzungen in diesem Fall
sinnlos. Glücklicherweise haben wir aber den griechischen Originaltext, in
dem ein eindeutiger Name apsinthos steht: Dieser bedeutet
nur Wermut (und vielleicht andere blaßblättrige, sehr bittere Verwandte
wie den Pontischen Wermut), aber niemals Beifuß. Und
chernobyl heißt Beifuß
, nichts anderes.
Es gibt noch einen weiteren Anknüpfungspunkt zwischen den Begriffen
Beifuß
und brennen
, der die von der slavischen Wurzel PAL
gebildeten Namen erklären könnte: Das moxa-Ritual, eine schamanistische Praxis,
die ursprünglich aus Zentralasien stammt und heute auch in Ostasien gepflegt wird.
Dazu verbrennt ein Schamane zu Heilungszwecken kleine Mengen
getrockneter Kräuter, häufig Beifuß. In der Traditionellen
Chinesischen Medizin wird die Methode oft so angewendet, daß man eine
dünne Ingwerscheibe auf einen Akupunkturpunkt
legt, darauf das Pflanzenpulver schichtet und es dann verbrennt. Die Heilkraft
soll sowohl durch die Hitze als auch durch die Pflanzeninhaltsstoffe zustandekommen. Der japanische Name
yomogi [蓬, よもぎ]
steht für Beifuß und andere Artemisia-Arten;
er kann auch als 艾
geschrieben werden, allerdings bezeichnet dieses Kanji häufiger die
Moxa-Methode selbst, die auf Japanisch mogusa [艾, もぐさ]
heißt. Spezifische Namen für bestimmte Artemisien
werden oft mit ersterem Kanji gebildet, z. B.
niga-yomogi [苦蓬, にがよもぎ] bitteres Yomogi
(Wermut) oder
oo-yomogi [大蓬, おおよもぎ] großes Yomogi
(A. montana).
Für Beifuß im Speziellen gilt auch die Bezeichnung
ōshū-yomogi [おうしゅうよもぎ] europäisches Yomogi
.
Über den Gattungsnamen Artemisia, siehe bei
Eberraute.