Landkarte
Delhi Jaisalmer

Pushkar पुष्कर (Rajasthan)

Panoramic view of Pushkar, Rajasthan, North Western India

Panaroma von Pushkar mit dem heiligen Teich; links auf der Spitze des Hügels ist der Pap Mochni Mandir zu sehen.

Dry Ghats in Pushkar, Rajasthan (India)

Die trockengefallenen Ghats machen einen etwas jämmerlichen Eindruck

Dry Ghats in Pushkar, Rajasthan (India)

Der Mann scheint sich auch zu fragen, wo das Wasser geblieben ist

Sunset at the Ghats in Pushkar, Rajasthan (India)

Die Ghats von Pushkar in der Abenddämmerung

Liebe Birgit,

da meine Be­gleiterin Petra (Name von der Redak­tion ge­ändert) mit Delhi einfach nicht glück­lich werden konnte, sind wir eilig in das raja­sthani­sche Wüsten­dorf Pushkar ge­flohen, das mir von meinem ersten Indien­aufenthalt 1995 noch in sehr ange­nehmer Er­innerung ist. Und siehe da: Auf einmal hat Petra ein neues Lieblings­wort ent­deckt: Shanti. Das heißt eigent­lich „Friede“, aber in der indi­schen Umgangs­sprache ist es einfach das Anto­nym zu „Stress“.

Pushkar ist ein kleiner, pit­tores­ker Ort vol­ler alter Havelis am Rande eines heili­gen Sees, der all­seitig mit Ghats einge­mauert ist. Leider hat der öko­logische Raub­bau des letzten Jahr­zehntes diesen See völlig aus­trocknen lassen, und so machen die Ghats mit all ihren kleinen und großen Tempelchen einen traurigen und ver­las­se­nen Eindruck. Das reli­giöse Busi­ness findet aber trotz­dem noch statt, wie bald zu er­zählen sein wird.

Unter all den Heili­gen Städten Indiens in Pushkar ein merk­würdi­ger Einzel­gänger, da hier weder Shiva noch Vishnu ver­ehrt werden, son­dern der sonst so ver­nach­lässig­te Brahma. Dieser Schöpfer­gott ist zwar formal der Dritte im Bunde der Tri­murti, der hin­duisti­schen „Drei­faltig­keit“, aber in der reli­giösen Praxis spielt er kaum eine Rolle. Brahma-Tempel sind in Indien selten, ich habe lediglich in Dwarka einen ge­sehen; und hier in Pushkar sind die Menschen sogar der Mei­nung, daß es auf der ganzen Welt keinen zweiten gebe.

Stone stairways leading to Sri Savitri Mata Mandir Temple in Pushkar, Rajasthan (India)

Aufgang zum Sri Savitri Mata Mandir

Goddess Gayatri idol in Pop Mochni Mandir temple, Pushkar, Rajasthan (India)

Gayatri-Kultbild im Pap Mochni Mandir

Rose-ringed parakeet birds (Psittacula krameri) near Savitri Mandir, Pushkar, Rajasthan, North-West India

Beim Aufstieg zum Savitri-Tempel kann man zwar bunte Halsbandsittiche sehen, aber keine Schwäne

Eine eigen­artige Ge­schichte berich­tet, daß Brahma hier ein Feuer­opfer dar­bringen wollte, daß sich aber seine Frau Savitri dabei ver­spätete (in anderen Erzählun­gen heißt Brahmas Frau übrigens Saraswati, da sind wohl in grauer Vor­zeit zwei Göttinen zu einer ver­schmolzen). Um das Feuer­opfer, das die An­wesen­heit einer Ehefrau zwingend vorsieht, trotzdem ab­schließen zu können, heiratete Brahma kurz ent­schlossen ein hiesiges Mädchen namens Gayatri, was dann zum ausge­dehnten Zicken­krieg zwischen den beiden Damen führen sollte. Die zwei flohen schließlich auf je einen Hügel in der Umgebung, auf denen heute kleine Tempel stehen.

Diese „Göt­tin Gayatri“ wirkt wie ein Fremd­körper, etwas, was hastig ins Pan­theon ge­fum­melt wurde; und genau­so ist es auch. Das Wort Gayatri be­zeich­net näm­lich eigent­lich ein vedisches Vers­maß aus drei­mal acht Silben. Im Rigveda gibt es ein beson­ders be­rühmtes Mantra (eine Ode an die Sonne), das all­gemein als „Gayatri-Mantra“ bekannt ist (Hör­probe). Offen­bar ver­blaßten die Zu­sammen­hänge im Ver­ständnis der Gläu­bi­gen mit der Zeit etwas, und so ent­stand die Vor­stellung, Gayatri sei eine Göttin, die in diesem Mantra den Sonnen­gott Surya an­himmelt; und nun mußte man ihr einen Platz in der Götter­riege finden. Letzt­lich wurde aus dem rigvedi­schen Metrum eine schöne junge Frau, die sich ihre ikono­graphi­schen Attribute (vor allem den Schwan) mit Savitri bzw. Sarasvati teilt.

Man with Rajasthani style turban in Pushkar, Rajasthan (India)

Mann mit typischem Rajasthani-Turban

Camel-drawn carriage in Pushkar, Rajasthan (India)

In der Wüste dient das Kamel als Verkehrsmittel

Pushkar ist ein Traveller­paradies mit langer Tradi­tion; und das hat erfah­rungs­gemäß Licht- und Schatten­seiten. Das Hotel­angebot ist riesig und bietet ein hervor­ragen­des Preis/Leistungs-Verhält­nis, und das Stadt­bild nahe den Ghats wird von Sou­venir­läden und Touristen­kneipen domi­niert, die alles an­bieten, was das Herz des Reisen­den be­gehren könnte. Anderer­seits ist hier auch der Nepp zuhause, und zwar in einer beson­ders heuch­leri­schen Art: Der “Pushkar-Pass­port”. Da­hinter steckt die Idee, daß jeder beim ersten Be­such von Pushkar eine Art Initia­tions­prozedur durch­laufen muß, und die Brahmanen achten penibel darauf, daß sich niemand diesem Ritual und der an­schließen­den Spende ent­ziehen kann.

Ich warnte also Petra, sie solle auf­passen, und dann unter­zogen wir uns der Proze­dur. Eigen­tlich sollte sie auf dem Haupt-Ghat direkt am Wasser des Sees statt­finden; not­gedrun­gener­weise mußte sie in dieser Zeit der Trocken­heit an ein kleines Wasser­becken verlegt werden. Dort wurden wir getrennt (“Karma is sepa­rate, Sir!”) und von je einem Brahmanen be­schwatzt, mußten das Ritual mit Blumen, Farb­pulver und einer Kokos­nuß über uns er­gehen lassen und minuten­lang ein Mantra nach­sprechen, das in Art eines For­mu­lars ge­staltet war: Es ent­hielt Lücken, in die wir dann die Namen all jener Familien­mitglieder einzu­setzen hatten, die in Segen dieser Zeremone mit­einge­schlos­sen werden sollten.

Main Brahma temple Jagat Pita Sri Brahma Mandir in Pushkar, Rajasthan (India)

Der Aufgang zum Jagat Pita Sri Brahma Mandir

Brahma Idol with four heads at Brahmaji Mandir, Dwarka, Gujarat (India)

Dieses Photo zeigt ein Brahma-Kultbild aus einem winzigen und weit­gehend un­bekann­ten Tempel in Dwarka; das in Pushkar ist größer und prächtiger, aber grund­sätz­lich ähnlich.

Religious festival in Pushkar, Rajasthan (India)

Fast täglich finden im heiligen Pushkar irgendwelche Prozessionen statt …

Monkey plundering puja remains in Pushkar, Rajasthan (India)

… und selbst die Affen interessieren sich für die Religion (oder auch nur die Reste der Speiseopfer)

Peacock dancing at evening near Pap Mochni Mandir Gayatri Temple in Pushkar, Rajasthan (India)

Pfau in der Abendsonne

Ganz am ​Ende des Spek­ta­kels hoffte der reli­giöse Schlau­meier wohl, daß ich nicht mehr auf­merk­sam wäre, und sprach mir vor, daß ich auf die Kokos­nuß schwö­re, den Brahma­nen eine saf­tige Spen­de (Bakhshish) zu hinter­lassen. Natür­lich wieder­holte ich diese Wor­te dann nicht, und die an­fangs so er­ha­b­ene und wür­dige Szene ent­artete plötzlich zum einem ebenso klein­lich–pein­lichen wie lächer­lichen Zank. Petra hatte auch aufgepaßt, und so stritten wir nun beide mit den zaster­verses­se­nen Brahmanen herum, ob der nicht nach­gesproche­ne Schwur denn nun gültig und ver­bind­lich sei oder nicht. Als Spät­folge dieses Ereig­nisses brach Petra später immer in Lachen aus, wenn sie eine Kokos­nuß erblickte, und murmelte vor sich hin „Ich schwöre auf die Kokos­nuß, die Heilige Kokos­nuß, hahaha!“. Das Ganze schmeckte mehr als nur eine Spur nach den Monty Pythons.

Am Brahma Mandir gab es da­gegen keine Be­lästi­gung, al­ler­dings schmerzte mich das Photo­verbot. Der Tem­pel ist über steile Stufen zu er­rei­chen und den ganzen Tag lang Schau­platz eines fröh­lichen reli­giösen Treibens. Als Ersatz für das Kult­bild zeige ich Dir in diesem Brief das aus dem viel klei­neren Brahma-Tempel in Dvarka, das den etwas pum­meli­gen, vier­köpfigen Gott zwar weniger raf­fi­niert, aber im Kern ähn­lich darstellt.

Wir pilger­ten auch auf die beiden Hügel der Um­gebung. Der Ratna­giri („Juwelen­hügel“), auf dessen Spitze der Sri Savitri Mata Mandir steht, bietet wunder­bare Aus­blicke auf den See, die Stadt und die um­gebende Wüste, die jahres­zeit­lich bedingt einen merk­lichen Grün­stich an­genom­men hat. Ein niedri­gerer Hügel gleich hinter dem Bus­bahnhof trägt den der Gayatri ge­weih­ten Tempel Pap Mochni Mandir; beim Auf­stieg konnten wir einige wilde Pfauen be­obachten, die die Straßen ent­lang­stolzier­ten und in den Gärten der An­rainer herumbalzten.

Indian Food: Gobhi Tamatar (Cauliflower with tomatoes)

Gobhi Tamatar (Karfiol mit Tomaten)

Vegetarian local restaurant new Brahma temple in Pushkar, Rajasthan (India)

Vegetarisches Restaurant nahe dem Brahma-Tempel

Verpflegungs­technisch wurden wir in Pushkar auch nicht ent­täuscht: In der Nähe des Brahma-Tempels stehen einige Restau­rants, die sehr gute raja­sthani­sche Küche an­bieten, natür­lich nur vege­ta­risch, wie es sich in einer heili­gen Stadt ge­ziemt; aller­dings ver­zich­tete ich Petra zu­liebe meist auf den authen­tischen Schärfe­grad. Beson­ders in Erinnerung blieb das Dal Tarka, das hier laut Speise­karte mit echter Land­butter (Deshi Ghee) zube­reitet wurde und das ich Dir ja bereits in meinem Brief aus Bhopāl aus­führ­lich be­schrieben habe.

Indian Tourist Food: Italian Espresso at Moonlight Cafe in Pushkar, Rajasthan (India)

Richtige Espressokannen!

Indian Tourist food: Musli with curd, bananas and ripe mangos at Moonlight Cafe in Pushkar, Rajasthan (India)

Guten Morgen: Müsli mit abgetropftem Joghurt und vollreifen Mangos

Auch Petra wurde glück­lich, als wir in der ge­schäf­tigen Haupt­straße an den Ghats eine winzige Kneipe fanden: Das Moon­light Café. Nizam, der gleich­zeitig die Funk­tionen von Besitzer, Kellner und Allein­unterhalter aus­füllt, ist be­son­ders stolz auf seine Samm­lung italieni­scher Espresso­kannen und die dazu­gehörigen Kaffee­sorten, aus denen er einen ganz und gar befriedi­genden Frühstücks­kaffee brauen kann. Auch das Mango-Müsli (mit wirk­lichen Mangos!) brachte Petra ein ange­nehmes Guten-Morgen-Erlebnis, als guten Ein­stieg zu den mehr oder minder auf­wendigen Be­sichtigungs­touren.

Dauergast in dem kleinen Laden ist ein dicker Baba, den der eigent­lich mu­slimi­sche Nizam als per­sön­lichen Guru aus­erkoren hat und ent­sprechend mästet. Und wenn gleich­zeitig der Guru nach Essen schreit, die Espresso­kanne pfeift, ein Gast gehen will und sich zwei andere um den frei­werden­den Stuhl streiten, dann blickt Nizam nur lächelnd in die Runde und spricht das Wort, das so typisch für Pushkar ist: Shanti, shanti.


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