Landkarte
Jammu Siehe auch Dharamsala 2, Tarke Ghyang 2 On the Road

Dharamsala धर्मशाला (Himachal Pradesh)

Tbetan houses in McLeod Ganj (Dharamsala), Himachal Pradesh (India)

Tibetische Wohnhäuser in McLeod Ganj

Tibetan prayer drums at the center of McLeod Ganj (Dharamsala), Himachal Pradesh (India)

Reihe von tibetischen Gebetstrommeln im Zentrum von McLeod Ganj

Himalaya mountais seen from McLeod Ganj (Dharamsala), Himachal Pradesh (India)

Winterliche Gebirgslandschaft um Dharamsala

Pilgrim at a prayer-flag decorated path near McLeod Ganj (Dharamsala), Himachal Pradesh (India)

Ein mit Gebetsfahnen geschmückter Pilgerweg

Liebe Birgit,

wie letzte Woche bereits ange­kündigt, bin ich jetzt in Tibet — oder so ähnlich. Tat­sächlich heißt der Ort McLeod Ganj und ist ein kleiner Stadtteil oder Vorort der Stadt Dharam­sala, die auf 1200 m Höhe im Himalaja liegt. Vom brum­menden Bus­bahnhof in Dharam­sala sind es noch­mals 30 min Bus­fahrt oder sechs­hundert Höhen­meter, bis man in McLeod Ganj ankommt, und dann hat man zugleich eine neue Welt betreten.

Eigentlich war McLeod Ganj eine euro­päische Schöp­fung, eine der zahl­reichen “hill stations”, in denen sommer­flüchtige Briten Kühle finden konnten; aber ein Erd­beben im Jahr 1905 verwüstete den halben Kangra-Distrikt und machte dabei auch McLeod Ganj dem Erd­boden gleich, und die darauf folgenden Jahr­zehnte blieb es unbesiedelt.

Nachdem im Jahr 1959 der Vier­zehnte Dalai Lama auf aben­teuer­lichen Wegen nach von Tibet nach Indien ge­flohen war, erhielt er polti­sches Asyl, das sich auch auf seine mit ihm ge­kom­men An­hänger und auf alle später Ge­flohe­nen bis heute er­streckt. Die Auf­nahme von potenziell zehn­tausen­den Flücht­lingen stellte Indien natür­lich vor er­heb­liche Pro­bleme, die aber unter Be­ru­fung auf die ge­schicht­lichen und religiösen Ver­bindun­gen zwischen Indien und Tibet wil­lig gelöst wurden. Als Wohn­ort wurde dem Dalai Lama das ver­lassene McLeod Ganj an­geboten, und seit­dem hat sich das Städt­chen zu einer rich­tigen tibe­tischen Enklave ent­wickelt, in der einige Tausend Tibeter, zumeist Flüch­tlinge oder deren Kinder erster oder zweiter Generation, leben.

Mural referring to Tittira Jataka in Tsechokling Gompa at McLeod Ganj (Dharamsala), Himachal Pradesh (India)

Die Jataka-Fabel von Elefant, Affe, Hase und Rebhuhn wird oft auf Klösterwänden dargestellt

Ngapatatsang Monastery at McLeod Ganj (Dharamsala), Himachal Pradesh (India)

Eingang zum Ngapatatsang-Kloster

In der Zwi­schen­zeit sind auch Tempel­anlagen, Klöster und tibeti­sche Bil­dungs­einrich­tungen ent­standen, und natür­lich auch die gut ab­ge­schirm­te Privat­residenz Seiner Heilig­keit selbst. Zu­letzt hat hier auch die Regie­rung der Exil­tibeter ihren Sitz.

Tsechokling Gompa Monastery at McLeod Ganj (Dharamsala), Himachal Pradesh (India)

Das Tsechokling-Kloster

Spannen­de Archi­tektur darf man sich frei­lich nicht er­war­ten, die großen Kloster­komplexe sind ja in den Sech­zigern und Sieb­zigern ent­standen und sehen auch genau so aus — aber das freund­liche Gemüt der Tibeter hat hier eine fried­volle und ruhige Atmo­sphäre geschaf­fen, die sich sehr wohl­tuend von der Hektik indi­scher Städte ab­hebt. Das läßt mich selbst die winter­liche Kälte leicht er­tragen, denn was wärmt das Herz mehr als das freund­liche Lächeln von rot–gelb ge­wandeten Mönchen auf der Straße?

Das größte Kloster des Ortes ist die Namgyal Gompa, die Teil des großen Tsuglag­khang-Tempel­komplexes ist, in dem auch (wie im seinem Vor­bild, dem Jokhang-Tempel in Lhasa) die Residenz des Dalai Lama unter­gebracht ist. Schöner an­zu­sehen ist jedoch das Tsechok­ling-Kloster mit seinem gelben Dach, das in­mitten eines Rhodo­dendron­waldes etwas außer­halb von McLeod Ganj liegt. Mit etwas Willens­anstren­gung kann man dort auch früh­morgens die Mönche bei ihrem Ge­mein­schafts­gebet (puja) be­obach­ten, wozu sie Mehl aus ge­röste­ter Gerste (tsampa) essen und Butter­tee (bo-cha) trinken.

Indian / Tibetan food: Meat momo (stuffed steamed dumplings)

Momo (མག་མག་)

Indian / Tibetan food: La fing (Phing), Bean jelly cut into stripes and dressend with garlic, soy sauce, chili

La phing (ལ་ཕིང)

Indian / Tibetan food: Garlic water with Sichuan pepper corns (gog-chu)

Tibetisches Knoblauchwasser Gog-chu (སྒོག་ཆུ)

Damit sind wir ja auch schon beim Pferde­fuß der Sache: Die tibeti­sche Küche kann sich leider mit der indi­schen nicht mes­sen, was Ab­wechs­lungs­reich­tum und Kom­plexität der Aromen be­trifft: Die Auswahl der tra­ditio­nellen Zu­taten ist schon aus klimati­schen Gründen recht be­schei­den, und die iso­lierte Lage Tibets stellte auch den Handel mit kuli­nari­schen Export­waren vor schwere Probleme. Viele der tibeti­schen Rezepte haben außer­dem enge Ver­wandte in China und Zentral­asien: Das betrifft auch die National­speise Momo, Nudeln mit Fleisch- oder Gemüse­füllung, und ebenso die ver­schie­de­nen Nudel­suppen wie Thukpa (mit runden Nudeln) oder Tenthuk (mit kurzen rauten­förmigen Stücken aus frischem Nudel­teig), oder die ge­dämpften Weizen­brötchen tingmo. Ge­bra­tene Nudeln bekommt man hier als chow mein (chine­sisch: Chao-mian 炒面) an­geboten, und das schmeckt dann eigent­lich genauso wie die Nudel­pfanne am China-Eck Deiner Wahl.

Trotzdem kann, wer sich etwas Mühe gibt, hier inter­essant essen. Zwischen den un­zähligen Touristen­restaurants mit ihren schrillen Werbe­plakaten, hinter denen sich zumeist normiertes, über­teuertes und geschmack­loses Essen ver­birgt, findet man immer wieder winzige Mikro-Restau­rants, die tibeti­sche Haus­manns­kost an­bieten. Das Publikum schwankt zwischen handy­phonie­ren­den tibeti­schen Teen­agern, ent­spannt lächeln­den Mönchen und Nonnen und gar nicht so wenig Touristen, die oft aus Sym­pathie für die tibeti­sche Sache ihr Geld gezielt in jenen Läden aus­geben, die von Tibetern betrieben werden.

Manche tibe­tische Snacks werden auch auf der Straße verkauft, so wie der sehr eigen­willige Salat La Phing: Er besteht aus einem zittern­den Gelee, das sich beim Er­starren eines Kleisters aus Mehl, Gelier­mittel und Wasser bildet. Frauen am Straßen­rand schneiden daraus nudel­artige Stücke, die mit viel Salz, Soja­sauce, Essig, Chili­paste und einer für Tibet typi­schen Knoblauchwürze über­gossen und sofort verzehrt werden. Von dem Knob­lauch­wasser habe ich Dir ein Photo ge­macht: Die Knob­lauch­zehen und einige Körner Sichuan­pfeffer werden mit Wasser über­gossen und zur bes­seren Halt­bar­keit mit ein paar Tropfen Essig an­gesäuert. Aus den intakten oder ganz vor­sichtig an­gequetsch­ten Zehen ent­wickelt sich ein nur ganz mildes, subtiles Laucharoma.

Indian / Tibetan food: Tingmo (Timo, Temo) steamed bread

Tibetisches Dampfbrot Tingmo

Indien/Tibetan Food: Bo Cha butter tea

Buttertee sieht harmlos aus und ist es eigentlich auch

Indian / Tibetan food: Mala phing (fing) Gelatinous bean noodles in a spicy broth

Mala phing (མ་ལ་ཕིང)

Gerade ha­be ich eine große Schüs­sel der sehr pikan­ten Nudel­suppe Mala-phing ge­ges­sen: Dazu gart man fri­sches Blatt­gemüse (Senf­kohl, chine­sisch Baicai 白菜) in einer sehr salzi­gen, mit Soja­sauce ver­stärkten Brühe, fügt Nudeln hinzu und ser­viert mit je einem Klecks ge­quetsch­tem Knob­lauch, Chili­paste, Sesam­öl und ge­mahle­nem Sichuan­pfeffer. Ich ver­mute, daß der Name chine­sisch ist und sich von 麻 (der Geschmack des Sichuan­pfeffers) und 辣 (der Geschmack von Chili) herleitet, denn damit ist das Gericht schon ganz passabel beschrieben.

Sichuanpfef­fer ist ja das einzige in Tibet frei­willig wach­sende Gewürz, und man schmeckt ihn manchmal auch aus der Fleisch­füllung von Momos heraus; ins­gesamt wird er aber, wie Gewürze all­gemein, in der tibeti­schen Küche mit Zurück­haltung ver­wendet. Eine scharfe Paste aus sonnen­getrock­neten reifen Chilies darf dagegen am Tisch nicht fehlen, und eines meiner tibeti­schen Koch­bücher gibt sogar ein Rezept für eine scharfe Tisch­würze aus Blau­schimmel­käse und Chili (churu sibeh) — das schmeckt wirklich um­werfend, aber hier habe ich es noch nicht gefunden.

Zuletzt noch ein Wort zum Butter­tee, der vielen ja als absolutes Ekel­essen gilt. Grund­sätzlich ist das (hier meist schwarzer, in Tibet eher grüner) Tee, der zu­sammen mit Salz (und manch­mal einem Hauch Soda) gekocht wird; nach dem Ab­seihen wird mit reiner Muskel­kraft Butter darin emul­giert (die Exil­tibeter kochen den Tee oft mit etwas Milch, das er­leich­tert dann die Quirl-Arbeit). Mit­unter schmeckt die Butter etwas ranzig, ungefähr so wie ein Yak, der sich zwei Jahre lang nicht geduscht hat, und dann ist der Tee in der Tat etwas ab­stoßend; aber normaler­weise schmeckt er einfach salzig, buttrig (ein ganz leichter „Stich“ der Butter macht das ganze noch pikanter), fast so wie eine sehr ver­dünnte Fleisch­brühe. Ent­täuscht von dieser Spe­ziali­tät ist eigent­lich nur der, der erwartet, daß Butter­tee in irgend­einer Form nach Tee schmecken sollte, das tut er nämlich über­haupt nicht.

In etwa einer Woche fahre ich nach Amritsar, der bedeutendsten Stadt des Punjab, wo der Goldene Tempel der Sikhs lockt.

P.S.: Über Buttertee gibt es bei einer späteren Gelegenheit noch viel mehr zu schreiben.


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