Silphion (Cyrenaische Golddrachme) |
Antike Silphionmünze |
Das Gewürz Silphion wird in Marcus Gavius Apicius’ De re coquinaria
(Über die Kochkunst
) erwähnt. Apicius lebte zwar im ersten
Jahrhundert nach Christus, aber das unter seinem Namen bekannte Kochbuch ist
wesentlich jünger und stammt aus dem 4. Jhd. — entweder
handelt es sich um eine Neubearbeitung oder um ein unabhängiges Werk, das
sich mit dem Namen des zu dieser Zeit bereits legendären
Schlemmers schmücken wollte.
Eine späte (5. Jhdt) Sammlung von Rezepten, die auf das Apicius-Kochbuch zurückgehen soll und von einem gewissen Vinidarius stammt, beginnt mit einer langen Liste von Zutaten, die ein guter Koch in der Küche vorrätig halten sollte. Ganz am Anfang stehen die Gewürze (Übersetzung mit Mauscursor und CSS1):
Brevis pigmentorum
que in domo
esse debeant
ut condimentis
nihil desit:
crocu,
piper,
zingiber,
lasar,
foliu,
baca mirte,
costu,
cariofilu,
spica indica,
addena,
cardamomu,
spica nardi.
De seminibus hoc:
papaber,
semen rude,
baca rute,
baca lauri,
semen aneti,
semen api,
semen feniculi,
semen ligustici,
semem eruce,
semen coriandri,
cuminu,
anesu,
petrosilenu,
careu,
sisama.
De siccis hoc:
lasaris radices,
menta,
nepeta,
salvia,
cupressu,
origanu,
iuniperum,
cepa gentima,
bacas timmi,
coriandrum,
piretru,
citri,
pastinaca,
cepa ascalonia,
radices iunci,
anet,
puleiu,
ciperum,
aliu,
osprea,
samsucu,
innula,
silpiu,
cardamomu.
Bemerkenswerterweise tauchen einige Gewürze dieser Liste (Safran,
Salbei, Gewürznelken) im Text der
erhaltenen Apicius-Kochbücher nicht oder nur selten auf,
während die sehr wichtigen frischen Kräuter
in der Liste völlig fehlen. Man kann davon ausgehen, daß mit Silpium
durchgehend
der Asant gemeint ist, da ersterer zur Zeit der Endfassung des Buches schon
seit Jahrhunderten ausgestorben war. In der folgenden Übersetzung der spätlateinischen
Passage können die klassisch-lateinischen Namensformen mit dem Mauszeiger sichtbar gemacht werden:
Kurze Liste der Gewürze, die im Haus vorhanden sein sollten, damit es den Würzsaucen an nichts fehle: Safran, Pfeffer, Ingwer, Silphion-Harz, Indische Lorbeerblätter, Myrtenbeeren, Kostuswurz, Gewürznelken, indische Narde, Addena, Cardamom, Speik-Narde.Von den Samen das folgende: Mohn, Weinrauten-Samen, Weinrauten-Beeren, Lorbeer-Beeren, Dillsamen, Selleriesamen, Fenchelsamen, Liebstöckelsamen, Raukensamen, Koriandersamen, Kreuzkümmel, Anis, Petersilie, Kümmel, Sesam.
Vom Getrocknetem das folgende: Silphion-Wurzel, Minze, Bergminze, Salbei, Zypresse, Oregano, Wacholder, Zwiebel, Thymianbeeren (wahrscheinlich Ajowan), Koriander, Bertram, Zitronatzitrone, Pastinaken, Schalotte, Binsenwurzel, Dill, Poleiminze, Zyperngras, Knoblauch, Hülsenfrüchte, Majoran, Alant, Silphion, Cardamom.
Der Apicius ist das einzige vollständig erhaltene
Kochbuch der antiken mediterranen Welt und stellt die bedeutendste Quelle
für unser Wissen über altrömische Küche dar (siehe
Zwiebel für ein wesentlich älteres
Kochbuch aus Mesopotamien). Neben ein paar verstreuten Rezepten hier oder da
ist jedoch vor allem noch das frühe landwirtschaftliche Handbuch
De agricultura von Marcus Porcius Cato
(2. Jhd. v. Chr.) zu erwähnen, das bodenständige aber schmackhafte
Landküche anbietet, Gastmahl bei Trimalchio
), einem
Teil aus dem Schelmenromancyclus Satyricon, der dem
Schöngeist und Höfling Neros Gaius Petronius
Arbiter Elegantiæ
(bekannt aus Quo vadis?) zugeschrieben wird. Zuletzt sei auch noch auf
Vergils Gedicht moretum verwiesen, in dem die Freuden des
Landlebens in Form einer würzigen Paste aus Hartkäse, rohem
Knoblauch und Kräutern gepriesen werden;
siehe dazu auch Weinraute.
Silphion wurde erst von den Griechen, dann von den Römern gepriesen und
auch zu hohen Preisen gehandelt. Die Pflanze ließ sich nicht
kultivieren; sie gedieh nur in unbesiedelten und nicht anderweitig genutzten
Gebieten. Jahrhundertelang wurden die Silphionbestände als Quelle von
Wohlstand sorgfältig geschützt und nach festen, erprobten
Plänen beerntet; aber im ersten Jahrhundert v.Chr. wurde Silphion
immer seltener, woran Überernte und Zerstörung in Kriegswirren
gleichermaßen die Schuld trug. Möglicherweise hätten sich die
Bestände bei rigiden Schutzbestimmungen wieder erholt, aber da das
Einkommen aus dem Silphionhandel jetzt wegfiel, stiegen die Bauern auf
Schafzucht um. Die Schafe vernichteten offenbar die letzten überlebenden
Silphionpflanzen, wie uns Plinius berichtet:
unus omnino caulis nostra memoria repertus Neroni principi missus est
der einzige Stengel, der zu unseren Lebzeiten gefunden wurde, wurde zu Kaiser Nero geschickt
.
Die altrömische Küche unterschied sich ganz fundamental vom heute mit der Apenninhalbinsel assoziierten Kochstil: Nudeln (pasta) waren unbekannt, Tomaten wuchsen noch nur in Amerika und auch Knoblauch erfreute sich bei weitem nicht der heutigen Beliebtheit. Lediglich das Olivenöl hatte im Mittelmeergebiet bereits die gleiche dominierende Stellung inne wie heute und wurde sowohl als Nahrungsmittel als auch als Brennstoff für Lampen verwendet.
Blühender Stamm des Riesenfenchels, Ferula communis,
einer möglicherweise mit dem antiken Silphion verwandten Pflanze
www2.cinet.it © G. Gandolfo |
Die alten Römer verwendeten neben teilweise auch heute noch in der
italienischen Küche charakterbestimmenden Kräutern (Liebstöckel, Sellerie, Lorbeer)
und solchen, die heutzutage in der Küche kaum noch eine Rolle spielen
(
Liquamen, ein Nebenprodukt der Herstellung von Anchovis (fermentierten Fischen) und wahrscheinlich ähnlich den heute in Südostasien beliebten Fischsaucen (nam pla [น้ำปลา] in Thailand, nuoc mam [nước mắm] in Vietnam), war ein unentbehrlicher Bestandteil für die vielen scharfschmeckenden Saucen, die man ähnlich wie in der heutigen französischen Küche zu gekochtem Fleisch oder Meeresfrüchten reichte. Unter den aus dem Osten stammenden Gewürzen waren Kreuzkümmel und schwarzer Pfeffer sowie Ingwer am beliebtesten; langer Pfeffer wurde noch mehr geschätzt, aber sein hoher Preis und seine nur sporadische Verfügbarkeit setzte der kulinarischen Verwendung enge Grenzen. Zimt, Kassie, Gewürznelken und indische Lorbeerblätter (malobathrum, malabathrum) spielten eine kleinere Rolle, zumindest in der Küche; diese Gewürze wurden eher in der Parfumerie eingesetzt.
Noch überraschender vom heutigen Standpunkt aus war aber die Vorliebe für süßsaure oder auch nur süße und gleichzeitig pikante Gerichte und Saucen. Als Quelle von Süße diente fast ausschließlich Honig, daneben auch getrocknete Früchte (Rosinen, Datteln); Honig wurde auch zur Konservierung, sogar von Fleisch, verwendet. Umgekehrt wurden süße Speisen oft mit einem Hauch Pfeffer abgerundet (siehe auch Mohn).
Um Speisen zu säuern, kam neben Sumach vor allem Essig in Frage, da Citrusfrüchte bis auf die saftarme Zitronatzitrone (eine nahe Verwandte der Zitrone) unbekannt waren. Gerne verwendete man auch einen konzentrierten Traubensaft, der durch Einkochen von frischgepreßtem Most auf die Hälfte (caroenum) oder sogar ein Drittel (defrutum) des ursprünglichen Volumens gewonnen wurde. Eine sehr ähnliche Zubereitung (verjus) hielt sich in Frankreich bis in die Neuzeit.
Gelegentlich wird vermutet, Silphion habe überlebt und sei heute wenn auch unter anderem Namen, wieder bekannt; manche vermuten ihn in der Gattung Laserpitium (die auch danach benannt ist), andere in der Gattung Ferula, zu der auch Asant gehört. Allerdings betont Theophrastus in seiner Silphion-Beschreibung explizit, daß Silphion bebautes Land meidet: Es sei typisch für diese Pflanze
ἀεὶ συνεργαζομένης καὶ συνημερουμένης ἐξαναχωρεῖν ὡς οὐ δεομένου δῆλον ὅτι θεραπείας ἀλλ᾽ ὄντος ἀγρίου
aei synergazomenes kai synemeroumenes exanachorein hos ou deomenou delon hoti therapeias all’ ontos agriou
[Land], das unter Kultivierung gerät und gezähmt wird, immer zu verlassen, denn sie vermißt offensichtlich die [menschliche] Pflege nicht, sondern ist ein wildes Wesen.
In der heutigen Zeit haben wilde Geschöpfe
keine großen Chancen. Für eine Pflanze, die in Kulturlandschaften nicht bestehen kann,
erscheint ein Überdauern im dichtbesiedelten nordafrikanischen
Küstenstreifen nicht möglich. Weiter südlich hat sich in
den letzten zweitausend Jahren die Sahara ausgebreitet; sollte es dort
jemals Silphion-Rückzugsgebiete gegeben haben, dann sind sie heute
vom Wüstensand begraben.