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Liebstöckel ist ein traditionelles Gewürz in Südeuropa, dessen Gebrauch bis in die Antike zurückreicht; Liebstöckel war sogar eines der Schlüsselaromen der Küche im alten Rom. Wer die Speisen der Römerzeit nachkochen möchte, ist gut beraten, sich eine Quelle für dieses Gewürzkraut zu suchen oder es selbst anzubauen, anstatt es durch Sellerie (wie leider oft empfohlen) zu ersetzen. Siehe auch Silphion für die altrömische Kochkunst.
Auch heute wird Liebstöckel in Süd- und Mitteleuropa gerne verwendet, hat allerdings außerhalb dieser Gegenden nur wenige Freunde gefunden. Sein charakteristisches Aroma paßt gut zu Suppen, Eintöpfen, sauer Eingelegtem und Kräuteressig (siehe Dill). Die Blätter werden sehr häufig zum Würzen von Rindsuppen verwendet, indem man einen Bund eine halbe Stunde lang mit der Brühe mitkochen läßt (siehe Petersilie über Suppengrün). In Deutschland würzt man sehr oft Kartoffeln mit Liebstöckel.
Die Verwendung von Liebstöckel zur italienischen Küche konzentriert sich auf die ligurische Küste, wo das Gewürz seit alters kultiviert wird (sieh oben). Dort verwendet man ihn gerne, oft zusammen mit Oregano, zu Tomatensauce; dazu läßt sich Liebstöckel auch effizient mit der Weinraute kombinieren.
Die heutige Verbreitung des Liebstöckel in Mitteleuropa bis zum süddeutschen Raum geht auf das frühe Mittelalter zurück: Zu Beginn des 9. Jahrhunderts schrieb Karl der Große in seinem bekannten Capitulare de villis vel curtis imperii Caroli Magni eine Anzahl verwaltungstechnischer, zivilrechtlicher und landwirtschaftliche Regeln fest, die im ganzen neugeschaffenen Karolingerreich zu gelten hatten. Am Ende des Edikts findet man eine Vorschrift über den Anbau bestimmter Gewürz- und Heilpflanzen in kaiserlichen Gärten.
Die Sprache aller capitularia ist ein mittelalterliches Latein, die einzige Sprache, die im ganzen Frankenreich gesprochen und verstanden wurde. Bewegen Sie die Maus über den Text, um eine Übersetzung der Pflanzennamen zu sehen (HTML 4.0, CSS level 1).
Volumus quod
in horto
omnes herbas habeant,
id est
lilium,
rosas,
fenigrecum,
costum,
salviam,
rutam,
abrotanum,
cucumeres,
pepones,
cucurbitas,
fasiolum,
ciminum,
ros marinum,
careium,
cicerum italicum,
squillam,
gladiolum,
dragantea,
anesum,
coloquentidas,
solsequiam,
ameum,
silum,
lactucas,
git,
eruca alba,
nasturtium,
parduna,
puledium,
olisatum,
petresilinum,
apium,
levisticum,
savinam,
anetum,
fenicolum,
intubas,
diptamnum,
sinape,
satureiam,
sisimbrium,
mentam,
mentastrum,
tanazitam,
neptam,
febrefugiam,
papaver,
betas,
vulgigina,
mismalvas,
id est
althaea,
malvas,
carvitas,
pastenacas,
adripias,
blidas,
ravacaulos,
caulos,
uniones,
britlas,
porros,
radices,
ascalonicas,
cepas,
alia,
warentiam,
cardones,
fabas maiores,
pisos mauriscos,
coriandrum,
cerfolium,
lacteridas,
sclareiam.
Et ille hortulanus
habeat
super domum suam
Iovis barbam.
De arboribus
volumus quod
habeant
pomarios
diversi generis,
prunarios
diversi generis,
sorbarios,
mespilarios,
castanearios,
persicarios
diversi generis,
cotoniarios,
avellanarios,
amandalarios,
morarios,
lauros,
pinos,
ficus,
nucarios,
ceresarios
diversi generis.
Die Verordnung enthält noch einige Zeilen über spezielle
Apfelsorten. Bei einigen Pflanzen aus der obigen Liste ist die
botanische Identität nicht ganz klar; vgl. auch
Granatapfel über die Schwierigkeiten
von biblischen Pflanzennamen. Eine Übersetzung ins Deutsche ist wegen
der enumerativen Natur des Textes schwierig zu lesen, besonders, wenn man auch
noch botanische Zweifelsfälle berücksichtigen will. Der folgende
Versuch zielt auf flüssige Lesbarkeit; botanische Namen erscheinen
erst, wenn Sie einen Pflanzennamen mit der Maus berühren
(HTML 4.0, CSS level 1).
Liebstöckelblütenstand |
Wir wünschen daß sie im Garten alle Kräuter haben sollen, das sind Schwertlilie (?), Hundsrose, Bockshornklee, Frauenminze, Salbei, Weinraute, Eberraute, Gurken, Zuckermelonen, Flaschenkürbisse,Kuherbse (?), Kreuzkümmel, Rosmarin, Kümmel, Kichererbse, Meerzwiebel, Siegwurz,Schlangenknöterich (?, ?), Anis,Koloquinthen (?), Sonnenwende (?), Bärwurz (?) Bergkümmel,Lattich (?), Schwarzkümmel, Ölrauke, Brunnenkresse, Klette, Poleiminze,Engelwurz (?), Petersilie, Sellerie,Liebstöckel (?), Sadebaum, Dill, Fenchel, Wegwarte, Diptam, Senf, Bohnenkraut, Wasserminze, Grüne Minze, Roßminze, Rainfarn, Katzenminze,Tausenguldenkraut (?), Mohn, Mangold, Haselwurz, alle Malven, das sind Eibisch und Wilde Malve, Karotte, Pastinak, Gartenmelde, Amaranth, Stoppelrübe, Kohl,Winterzwiebel (?), Schnittlauch, Porree, Rettich, Schalotte, Zwiebel, Knoblauch, Krapp,Weberkarde (?), Saubohne, Erbse, Koriander, Kerbel, Kreuzblättrige Wolfsmilch, Muskatellersalbei. Und jeder Gärtner soll auf seinem Haus die Dach-Hauswurz (Jupiterbart) wachsen haben.Von den Bäumen wünschen wir, daß sie
Äpfel (?) in verschiedenen Sorten, Zwetschken in verschiedenen Sorten, Speierlinge, Mispeln, Eßkastanien, Pfirsiche in verschiedenen Sorten, Quitten, Haselnüsse, Mandeln, Maulbeeren, Lorbeer, Pinien, Feige, Walnüsse,Süßkirschen (?) in verschiedenen Sorten haben sollen.
Junge Liebstöckelpflanzen |
Das Capitulare de villis trug zur Vereinheitlichung
der landwirtschaftlichen Methoden bei und sorgte für eine
überregionale Verbreitung von Nutzpflanzen und dem Wissen
darüber. Die Pflanzenlisten Karls des Großen behielten
das ganze Mittelalter bis in die Neuzeit ihren kanonischen
Charakter: Die Karlspflanzen
wurden in allen Klostergärten
kultiviert, soweit es die klimatischen Bedingen erlaubten.
Einige Gewürzkräuter südeuropäischer Herkunft wurden
erst durch das Capitulare in Mitteleuropa bekannt
und konnten sich seitdem in den kühleren Regionen behaupten.
Liebstöckel ist dafür ein gutes Beispiel; andere sind
Petersilie, Sellerie,
und auch die heute noch in manchen Bauerngärten der Alpen
oder Britanniens anzutreffende Eberraute. Andere
karolingische Nutzpflanzen konnten dagegen nördlich der Alpen
aus klimatischen Gründen nicht Fuß fassen (
Obwohl die wohlschmeckenden Früchte des Liebstöckels sich durchaus
als Gewürz eignen würden, werden sie nicht gehandelt. Gelegentlich
auftretende Gerüchte über Liebstöckelsamen
(englisch lovage seed) erweisen sich stets als fehlbeschrifteter Ajowan. Echte Liebstöckelsamen braucht man für einige altrömische Rezepte aus dem Apicius-Kochbuch
(siehe Silphion).